Kommunizieren nervt

Kommunizieren nervt.
Sobald’s über social (verbal) grooming hinausgeht (also gegenseitig wohlwollendes Anraunen), ereignen sich schlimmste psychosoziale Krankheiten. Am Besten: Schnauze halten. Groomen kann man ja immer noch, und raunen.
Es tut mir leid, dass Baudrillard tot ist, noch so’n Spinner, der aber immerhin Simulacres et simulation geschrieben hat, also immerhin den Versuch einer Massenmedienkritik:
„Ainsi, dans son livre La Guerre du Golfe n’a pas eu lieu, il écrit que le simulacre de la guerre a précédé le conflit réel. Bien qu’il ait été lourdement attaqué, aussi bien au sein du système universitaire français que par des auteurs se posant en défenseur de l’héritage des Lumières, l’analyse de Baudrillard n’annihile pas pour autant, malgré ses apparences, toute notion de réalité ou de politique. On a pu ainsi le qualifier d’« apolitique » voire de « réactionnaire ». Pourtant, il écrivait, dès Simulacres et simulation, que la simulation précède le réel, possédant ainsi une valeur productrice. En aucun cas cela signifie que ce que nous avons coutume d’appeler « le réel » ne possède plus aucune valeur et que Baudrillard se soit fourvoyé dans une sorte de nihilisme ou de cynisme conservateur.“ (aus der französischen Wikipedia)

Die Selbstironisierung der Massenmedien (siehe z.b die BILD-Anzeigen), die suggerieren, dass ihre Botschaften vielleicht zwar nicht wahr aber immerhin unterhaltsam genug seien, um damit Geld zu machen, hat er leider nicht mehr analysiert.

Aber eben diese kokett präsentierte Pseudo-Authentizität hat auch das politische Lager erfasst, ein bösgewendeter Dadaismus, der in unseren Gesellschaften übelste Konsequenzen auslöst. Erstes und aktuellstes Resultat ist die mit vermeintlich begründeter Häme artikulierte Desavouierung der Piraten-Partei, der ihre Ehrlichkeit (des Nicht-Wissens) angekreidet wird, als ob mit fast schon entrüstetem Pathos vorgetragene Aussagen wie Blüms „die Rente ist sicher“ deshalb wahr sein müssten, weil sie außer und trotz ihrer inhaltlichen Absurdität durch die feste Stimme und den unschuldigen Augenaufschlag des sich-seiner-selbst-gewissen Politikers überzeugend begründet wären. Die Frage, die sich die Politik anscheinend nicht stellt, lautet, ob es der Öffentlichkeit (den Wählern) eher zuzumuten ist, eine falsche oder zumindest unsubstantiierte Aussage zu schlucken, als von der Ebene der Verantwortlichen, der Macher, das Eingeständnis tatsächlicher Inkompetenz zu hören.

Peer, was is los? (12.12.2012)

Peer, was is los? (12.12.2012)

Gerade sehe ich beim Mittagessen Peer Steinbrück auf Phoenix. Ist er krank oder alt oder beides? Ich bin bis Schröder über die Sozialdemokratie hereinbach, Zigarre im grinsenden Mundwinkel, und sich nach allerlei unsinnigen, der Wirtschaft aber sicher nicht unsympathischen Globalisierungsreformen zu 
Putin geflüchtet hat, um sibirisches Gas für Deutschland zu sichern oder so, jetzt natürlich kein SPD-Wähler mehr.
Trotzdem bin ich schon menschlich bestürzt über den armen Herrn Steinbrück. Warum muss dieser arme Mann denn auf seine alten Tage noch Kanzler werden? Ganz im Ernst : alle MedizinerInnen (Ärzte, Krankenschwestern oder umgekehrt) sollten sich den Mann mal anschauen.Sieht er nicht sehr grau und eingefallen aus? Was er da sich von sich gibt, versteht doch sowieso kein normaler Mensch. Ist ja auch nicht wichtig. Ich glaube, Trittin ist der Einzige, aber auch verkniffenste, der sich selbst wirklich immer noch ernst nimmt. Schon fast komisch, aber doch erschreckend. Gestern war der Herr Brüderle im Fernsehen, aus welchen Gründen auch immer und er hat erstaunlich flüssig seinen weinseligen Singsang vorgetragen, sah auch sehr abgehärmt aus. Hoffentlich nicht die Prostata. 
Das muss ich mir bei einem Fläschchen Rum noch mal durch den Kopf gehen lassen. Kommt davon, wenn man nicht dauernd Fernsehen guckt. Das verwirrt. Ist nicht gut. Ab heute mindestens 2 Stunden Dauerberieselung Pflicht. Alkohol,hin Alkohol her (Unsinn: geht natürlich nur mit Alkohol). Fühle mich schon beinahe wie ein Staatsfeind. Aber ihr nehmt die schon alle Ernst?
Naja, kann schon noch 7, 8 Fläschlein Pils drauf legen. Dann verstehe ich lustigerweise auch den Herrn Brüderle ohne Probleme. 

Und bereits gestern wiederum auf Phoenix sagt der durchaus nicht unzufrieden wirkende Schulsenator von Hamburg, Herr Ties Rabe, dass wir unter dem (internationalen sogar?) Durchschnitt lägen, aber (und das ist wichtig) nur knapp. also: 4 = ausreichend. Na eben. Habe ich doch als Schüler schon immer so gesehen. Geht doch schon aus statistischen Gründen gar nicht anders. Irgendjemand muss doch schließlich schlechter als die Mehrheit sein. Warum also nicht wir? Und zum ersten Mal bin ich fast schon stolz, Deutscher zu sein.
Friedrich Schiller: am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Der hat noch mehr getrunken als ich und vielleicht sogar ich und Her Brüderle zusammen. Na gut. Warum denn nicht schlechter sein als die Meisten, wenn auch nur knapp? Vielleicht beim nächsten Vorstellungsgespräch gleich mal als Zielvorgabe vorschlagen. Prost! 

Nochmal zu Rabes Statement (13.12.2012):

Huffington Post titelt heute so: slightly above zero; a slogan for our age of diminished expectations. Hier klicken
Dabei geht es zwar um amerikanische Steuer – und nicht um deutsche Schulpolitik. Gleichwohl scheint er (Rabe) aber einen Nerv der Zeit zu treffen, zum ersten Mal schon von Mad TV formuliert (da ging es um datings): lowered expectations. Arianna Huffington wollte sich aber wohl nicht auf das stilistische Niveau von MAD herablassen. Reine Augenwischerei natürlich, aber die quintessentielle Erkenntnis, die sich auch als „Be prepared for the worst but wish for the best“* oder ähnlich formulieren läßt, steht doch in deutlichem Kontrast zum sonst üblichen Hochleistungs-Fetischismus und deckt sich mit meinen persönlichen Erfahrungen (nicht nur auf mich selbst bezogen). Habe mit Bernd vor einiger Zeit über wabisabi gesprochen, bei dem das Unperfekte zum ästhetischen Maßstab erhoben wird. Dabei geht es wohl auch um eine realistischere Abbildung der Realität durch Kunst. 

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*nicht von mir, googleable

Steinbrück once more (17.01.2013):

„In meinen Augen unüberhörbar.“

(grad eben auf Phoenix. Lustig aber nicht von mir.) 

Guten Abend!

Drei Träume oder: Es muss wohl an den Pillen liegen

1. blauschwarze Wolfshunde greifen den Glasbungalow an – eine ausgezeichnete klassische Pianistin spielt Schuberts Impromptus und wird von ihrem Freund zu Funkjazz-Improvisationen an wummerndem E-Bass verführt – Später trifft man sich mit dem schwulen Requisiteur des Stadttheaters und fährt auf’s Land.
2. Ein bis dato unbekannter englischer König (Charles Henry Edward II) aus dem späten 13. Jhdt. lädt seinen Cousin, einen gälischen Prinzregenten zum Diner: ein wundervoller süßtraubiger Rotwein wird gereicht und später noch ein französischer Obstler, aber KEIN Calvados.
3. Sohn trifft auf Stiefmutter, die den Keller von einer Madenplage zu befreien versucht, aber von einer sehr großen Spinne ausgesaugt wird. Später besucht ICH (des Traums) ein sächsisches Folkloremuseum und wird von einem hübschen Neonazimädchen zum Badewannensex aufgefordert. Die Liebelei wird verzögert durch das plötzliche Auftauchen eines FJStrauss-Hologramms, das ICH in Sachen Rechter Rand berät.

Den Schweißgruften entstiegen rumort’s

Irgendjemand hat mich heute wahrscheinlich am Telefon bedroht,
aber mein Anrufbeantworter funktioniert nicht richtig (zuviele Geräte zusammengeschaltet)
und ich bin zu faul und krank, um dieses Chaos -jemals – wieder zu entwirren,
weshalb ich mich entschlossen habe, mit dieser zusätzlichen Ungewissheit zu leben, 
zusätzlich zu all den anderen nicht einschätzbaren Bedrohungen vom Kometensturz bis zum Erstickungstod durch Ösophagusvarizen …
oder Frauen, Baseballschlägern, abrupten de-äthylisierungsinduzierten Symptomatiken, Blitzen, kreislaufbeeinflussenden Wetterumschwüngen, verschluckten Bienen, etc.

Ecke Schiller

war draußen. Ich glaube, die Türkin mit den großen, großen braunen Augen hat mich abgezockt. Aber egal, es war amüsant. Saß Ecke Schiller/Landwehr in München und bunt war’s. Pinke Pumps. Verschwitzte Geldmännchen, düsterbebraute Ganoven (oder Männchen, die sich dafür halten), die omnipresenten Briten, ihre karierten Bäuche grölend durch die Menge schwingend. Saß, scheuchte den ungarischen Bengel mit nem Döner weg, relaxte auf Plastik, genoß den Stadtmief.
Wenn’s nicht zu teuer wär‘, säß ich öfter hier, um die menschliche Komödie intensiver zu goutieren. Denk an Li Po und Rumi und denke, wie kann man’s nur aushalten mit diesen Pennern?
Man kann’s nicht.

.

Ich zahl’s ihm ja alles, dem Budapester Jüngling,
die Kartoffeln und das halbe Pfündchen Schnetzelfleisch.
Sah arm aus und beschiss mich natürlich, aber
hungrig war er wirklich und wir saßen im Freien,
wo ich rauchen konnte, und beobachten.

Hart für Zoltan, zu merken, es ging nicht um ihn,
und hart, wie ich ihn durch die türkische Bedienung
entfernen ließ. Ein Saame, aus dem schwedischen Kiruna,
prostete mit zu, das Gebabbel der biergeträuften Engländer
übertönte immer wieder unser Gespräch.

„Ziemlich gut ausstaffiert,“ -„Who?“ „Die Huren,“ sag ich,
und ich setz‘ noch einen drauf: „Diese kleine Libanesin hat
einen himmlischen Arsch.“ Ein Saami errötet natürlich nicht.
„Kiruna,“ werf‘ ich ein, „China hat mehr Stahl.“ Und
zahl das nächste Bier. „Kiruna,“ gibt er zu,“ ist so
tot wie euer Ruhrgebiet und Lothringen.“

Der fette Türke am nächsten Tisch schiebt ihm
fein frittierte goldbraune Pommes rüber.“Tuz!“ ruf
ich, „Salz!“, Ich berichte Tyldak, dem Saamen,
daß die nenzischen Rentiere fette Halskrausen
umherschleppen. „Ich bin,“ sagt er, “ Halbsaame.“ –
„Schert’s mich was du frißt,“ brumm ich, „another one?“

Zuletzt war er, Nomade, in Vancouver und
verreckt fast im Codeinrausch. „Ich hab‘ die Elchjagd verpasst“ –
„Immerhin lebst du,“ – „Klo ist dahinten.“
„Tyl! Die haben mir schon wieder 50 Euro abgezockt!“
„Menschen,“ sagt er, „du legt’s aber immer darauf an.“

„Hau ab. blöder Same!“ Ich mag ihn.

Magdeburg oder : Was ist eigentlich mit V. Braun passiert?

Oh ja, ich erinnere mich noch an ihn: der gab ne Gastvorlesung an der Augsburger Uni ungefähr 1988. War gar nicht schlecht. Allerdings „fiel“ ja dann die Mauer, und bösartigerweise entwerten nachträgliche historische Prozesse individuellen Mut.

Ich gestehe hier, dass ich nur 2 Fakten erinnere:

1. das Auditorium war voll.
2. der Beifall war stark.

2007 oder 8 war ich in Magdeburg, saß nahe dem Askanischen Platz bei buntem Eisbecher, Uhrzeit: leicht verschattendes sommergoldenes Licht sticht in die dämmernde Elbe (,ca. 18 Uhr im August).

Kleine Trupps gröliger Neonazis sammelten sich entlang der Bänke. 
Fühlte mich wie im Naturpark. ich spreche leise zu meiner Begleitung, empfehle vorsichtigen Rückzug ins trügerisch sichere Hotel. 

Man entschuldige meine Feigheit: ich war nüchtern und unbewaffnet. Die selbe Staatsmacht, die Volker Braun und Millionen anderer widerborstiger Genossen unterdrückt hatte, war ja zurecht ausgetrieben worden. 

Türkiye 1987

Lag in Antalya auf meinem Dachbett, als plötzlich Klarinetten schmeichelten, sehr klezmerisch: Düğün – Hochzeit? Mir schien es so und Wind fächelte vom Meer hoch. Es rief der Wein und ich nach Schatten. Ein großes Fest empfing mich – es war Nach-Saison – auf diesem Kugelplatz: nur Türken da und Kurden aus der Kolonie über der Stadt. Welch Wohltat und wie wohl es tat, das Bad in fremder Menge und Musik und Kerzenflattern.

Später, reichlich wankelschrittig , betrat ich ein kurdisches Domizil. Und siehe, da ward mir beschert ein großer Teller Pilav mit Schenkelchen vom Huhn und später kratz’ger Tütün* aus dem Osten und Indianergesang aus den Bergen jenseits von Diyarbakir. Oh gelobte Fressmeilenferne! Ich hatte auf Afyon** gehofft, aber war satt.

Man empfahl sich gegenseitig und der Hausherr geleitete mich ins Städtchen hinab. Mir fiel für’s nächste Rendez-vous das Wort für Tor nicht ein. Nur: Bab***. Der Kurde sprach aber kein Arabisch, weshalb wir uns nie wieder fanden.

Wenn wir schon dabei sind:
Fuhr mit dem Bus die Serpentinen hoch ins lykische Gebirge. Bevor wir hielten, kotzte ich. (Ich hatte von Ankara ein Magenleiden eingeschleppt.) Stieg aus in Elmalı, dem Apfeldörflein, begrüßt vom Bürgermeister und dem Chef der Bank.
Grüner als der Apfeltee grinste ich den Honoratioren verzweifelt entgegen. Man verstand sich und ich fand Quartier im ersten Haus am Platz. Ich schlief schon, da betraten 4 Bauarbeiter den Raum. Merhaba! Ein kleines Käuzlein Uraltfrau befreite sie und mich und schuf mich in ein Einzelzimmerleinchen, ein Kabäuschen.

Am nächsten Tag überschritt ich den Platz vor dem Hotel und erwarb Rotwein. Die Alten auf dem Bänkchen gegenüber luden mich zum Apfeltee ein. Da barsten mir die Tränen aus den Augen und ich floh.
In meinem Zimmer soff ich mir Ausgeh-Mut an. Die Sonne stand schon westlich des Minaretts, als ich den Weg zum Dorfrand hochstapfte.
Ich betrat eine Kneipe mit sägespänenbestreutem Boden und ließ mich unter Bauern nieder.So saßen die Çiftçiler**** und ich und missverstanden uns freundlich beim dänischen Bier. …

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*Tabak
**Opium
*** arabisch: Tor
**** Bauern
Mehr über diese amüsante Türkeifahrt auf Englisch hier:

Marmara memories


und hier:

passing though the orient

Südliches Schäferlied (Everette Maddox: Southern Eclogue)

Lungerte 3 Monate bei Woolworth’s rum,
beobachtete, wie sich das Sommerspektakel
in die Tage der Leuchtenden Dollars verwandelte,
bloß nicht, wie Ira Gershwin sagen würde, für mich.

Hundstage auf der Straße, hundemüder Pechvogel
und leicht durchgeknallt, meine letzte Liebe gerade
am Strauch verdorrt, war ich was man so
„selbstständig“ nennt und stieß meinen Schädel
über’s Pflaster wie ‘ne verstaubte Magnolienblüte.

Um die Ecke führte eine Trompete Selbstgespräche.
Hoch, hoch über den Straßenschluchten, über den
rosaroten Dächern geschlossener Läden
kläffte der Hundsstern Sirius
einmal und sank in Schlaf,
als der Mann im (Voll-) Mond
hochstieg und in den Perlenhimmel
gähnte.

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Original:

Southern Eclogue

.

I sat in Woolworth’s for three months
and watched Summerama
turn into bright green Dollar Days,
although, as Ira Gershwin
would say, not for me. Out on
the street it was Dog Days. Dog-tired,
dogshit out of luck, and a little
mad, my new love dying
on the vine, I was what they call
self-employed, kicking my head
ahead of me down the sidewalk
like an old magnolia blossom
through the dust. Around the corner
a trumpet was talking to itself.
And up, up, up the alley cracks,
over the pink roofs of shut
stores, the Dog Star gave one
yelp and sank to sleep
as the man in the Full Moon
coming on, yawned in the pearling
sky.

Hängende Laternen (Holly Rene Hunter: Hanging Lanterns)

Malven und Hortensien,
pralle morgendämmrige Knospen ,
sammelt sie taubrechend
treibend über Schleierkraut,
über moosbedeckte Steine.

Hinter weinberanktem Tor
in verrosteten Laternen
hausen Kolibris und Bienen
nektartrunken, voll gesogener
Süße aus Trompetenblumen,
rot und weiß.

Über einer Gartenbrücke
wölbt sich flacher Schaum,
worunter Buddha meditiert.
Libellen beten auf seinem
sonnenwarmen Bauch.

Unter dem Ahorn lässt
sie die Hüllen fallen,
sinkt in den über-
schwemmenden Bach.
Schmetterlinge gold und kupfer,
flirren über ihre Hand.

Gelb-graue Karpfen streicheln
ihre schlanken Glieder,
der Marmor-Buddha senkt sein Lid.

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Original